Michael Günther (1968-2000)


“Vor 22 Jahren wohnte ich mit 12 Kindern im Hühnerstall. Eines Tages kam ein junger Deutscher vor unsere Tür und wollte mithelfen.
Er hatte lange schwarze Haare, hatte Jeans an, die überall geflickt waren und er hatte Ohrringe in den Ohren. Ich dachte: ´Jemanden der so aussieht kann
ich nicht brauchen.` Ich gab ihm eine Machete und er musste drei Tage im Wald Bäume fällen. Ich war mir sicher, dass er nach den drei Tagen nicht mehr in
den Hühnerstall ziehen wollte. Doch ich hatte mich getäuscht. Er blieb und wurde mein Freund. Das war Michael Günther aus Deutschland. Michel half mir bei
allem.
Eines Tages bekamen wir einen Kühlschrank und wir freuten uns sehr. Als Michel jedoch die Kühlschranktür öffnete, war dieser leer. Da begann Michel Briefe
an seine Freunde in Deutschland zu schreiben. Früher gab es kein Internet. Es dauerte lange, bis die Briefe bei seinen Freunden waren und es dauerte wieder
lange bis ihre Antwortbriefe wieder bei uns in Ecuador waren. Doch es kamen Briefe – und in den Briefen war Geld und wir konnten den Kühlschrank füllen.
Mein Freund Michel starb bei einem Unfall in den Bergen im April 2000....” (Roberto Altamirano)
Michael Günther (1968-2000)
Michael Günther (1968-2000)

Jugend und Berufsfindung

Michael Günther wurde 1968 in Hechigen (Baden-Württemberg) geboren und ist in Albstadt-Ebingen aufgewachsen. Nach dem Abitur, das er am Gymnasium in Ebingen ablegte, studierte er an der Pädagogischen Hochschule in Weingarten, legte 1994 seine erste und nach dem Vorbereitungsdienst 1996 seine zweite Dienstprüfung als Lehrer für Grund- und Hauptschulen ab. Zwischen 1996 und seinem viel zu frühen Tod im Jahre 2000 infolge eines Kletterunfalls war er Lehrer an der Burgschule in Meßstetten.
Ausschlaggebend für Michael Günthers Berufsentscheidung war der Zivildienst, den er 1988 bis 1990 in einer Einrichtung für Behinderte ableistete. Die Arbeit mit behinderten Kindern prägte sein Leben. Er wollte einen Beruf ergreifen, in dem man mit Menschen, vor allem mit Kindern, arbeitet und Kindern helfen kann.

Südamerikareisen und Finden einer Lebensaufgabe

1989 machte Michael Günther eine erste Reise nach Mexiko und Guatemala, im folgenden Jahr eine zweite nach Ecuador - es waren Reisen des Suchens, des Suchens nach einer Möglichkeit, helfen zu können. Entscheidend für sein weiteres Leben war die dritte Reise im Jahr 1992. In Cartagena (Kolumbien) traf er mit Straßenkindern zusammen, erfuhr von ihren Nöten, ihrer Angst, ihrem jammervollen Leben. Und es war für ihn wohl eine bittere Erfahrung, diese Kinder ohne Hilfe zurücklassen zu müssen.
Michael Günther reiste weiter nach Ecuador und beschloss, zunächst einmal seine Spanischkenntnisse zu verbessern. In der Sprachenschule lernte er Roberto Altamirano kennen, einen jungen Mann, der begonnen hatte, ein Kinderheim für Straßenkinder aufzubauen. Michael Günther war sofort bereit, ihm dabei zu helfen. Er unterbrach sein Studium für ein Semester, lebte und arbeitete schließlich sieben Monate lang in primitivsten Verhältnissen mit Roberto und seiner Familie.

Einsatz für das Kinderheimes "Jardin del Eden"

Zurück in Deutschland, war Michael Günther ein anderer geworden. Er hatte seine Aufgabe gefunden. Er begann, Vorträge zu halten, auch an seiner ehemaligen Schule, dem Ebinger Gymnasium, das eine Art Patenschaft für das Kinderheim Jardin del Eden übernahm. Er reiste im ganzen Land herum, um Spenden für das Kinderheim zu sammeln. Durch seine offene, unprätentiöse Art gelang es ihm, die Menschen zu überzeugen - auch weil er die Gewissheit vermitteln konnte, dass jeder Pfennig, der gespendet wurde, auch- in Ecuador ankommen würde: Alle Kosten für seine Fahrten quer durch Deutschland trug er selbst. Freunde aus Deutschland schlossen sich ihm an, halfen für Wochen und Monate im Kinderheim mit. Neue Gebäude wurden errichtet, das Projekt wuchs und gedieh. Die Kinder des Jardin del Eden waren auch "seine Kinder", denen er eine Lebensperspektive eröffnen wollte. Am liebsten wäre er wohl auf Dauer nach Ecuador gezogen, aber .Michael Günther war realistisch genug zu erkennen, dass er hier in Deutschland mehr für seine Kinder tun konnte, als wenn er in Ecuador mit ihnen gelebt hätte.
Sein Anliegen, sich für eine gerechtere und menschlichere Welt einzusetzen, zeigt sich auch in zahlreichen Veröffentlichungen, an denen er in den vergangenen Jahren mitarbeitete. Kinder zu stärken, ihnen Mut zu machen und Toleranz vorzuleben stand im Mittelpunkt seiner Arbeit. Seine Begeisterung und Lebensfreude übertrug sich auf die Menschen, die mit ihm zusammenarbeiteten.
Michael Günther ist es in seinem kurzen Leben gelungen, viele Sympathien zu gewinnen. Seine Kollegen an der Burgschule und die Schulleitung schätzten ihn wegen seiner pädagogischen Fähigkeiten genauso wie wegen seines außergewöhnlichen sozialen Einsatzes. Seit Frühjahr 1998 lehrte Michael Günther als Ausbilder am Lehrerseminar in Albstadt in den Fächern Mathematik und Pädagogik. Auch für die Lehrbeauftragten und Lehreranwärter war die Nachricht vom Tode Michael Günthers ein Schock. Sie verlieren einen fachlich kompetenten, menschlich äußerst liebenswerten und stets bescheidenen Kollegen und Ausbilder.

Wunsch nach weiterer Unterstützung des Kinderheimes

Michael Günthers größter Wunsch wäre wohl gewesen, dass das Kinderheim-Projekt, das ihm so sehr am Herzen lag, auch nach seinem Tod mit demselben Engagement weiterbetrieben würde. Dass sich Engagierte finden, die in seine Fußstapfen treten wollen.